Venedig Fischmarkt, 2001
Venedig Fischmarkt, 2001
Malaysian Airlines Business Class, 2000
Gardone Villa Heller, 2002
Sri Lanka, 1997

Vorhänge

1980 bis heute

work in progress

Qvest Magazin Nr.10/2003, S. 282ff
Interview: Dagmar Bedbur

Die verhangenen Welten der Maria Vedder
Die Titel der Fotoarbeiten lesen sich wie Stationen eines Reisebreviers – „Venedig/Fischmarkt“, „Hinduistischer Tempel/Sri Lanka“, „Malaysian Airline“, „Madonnenbild/Lipari“ etc … Doch zu sehen sind ausschließlich Vorhänge. Neutral, stark vergrößert, ausschnitthaft – ohne jeglichen Bezug zu Raum und Zeit. Seit über 20 Jahren fotografiert die Video- und Fotokünstlerin Maria Vedder Vorhänge, die sie aktuell zu einer Serie großformatiger Stillleben verarbeitet hat.
Maria Vedder ist Professorin für Medienkunst an der Universität der Künste und lebt in Berlin, wenn sie nicht gerade im In- und Ausland unterwegs ist. Ihre preisgekrönten Kunstvideos sind vertreten u. a. im Museum Ludwig in Köln, im Neuen Berliner Kunstverein, in der Tate Gallery Liverpool wie in Sammlungen in Tokio, Kopenhagen etc …

Viele Ihrer Arbeiten sind im Ausland entstanden. Was gibt es da, was es hier nicht gibt?
Das Fremde! Reisen inspiriert mich, es öffnet meine Sinne. Ich halte mich gerne in dem Anderen, in dem Fremden auf, weil das meine Wahrnehmung schärft. Um mich zurecht zu finden, bin ich gezwungen, genauer hinzuschauen, und über die genauere Beobachtung meiner Umgebung nehme ich auch mich genauer wahr. Das hat mich zeitweilig richtig süchtig gemacht, reisesüchtig. Alltagsrituale sind in den südeuropäischen oder asiatischen Ländern viel allgegenwärtiger als bei uns.

Ihre aktuelle Fotoserie heißt „Vorhänge“. Was reizt Sie an der Thematik?
Vorhänge unterteilen die Welt immer in ein Davor und ein Dahinter. Mich interessiert dabei die Doppeldeutigkeit, die Ambivalenz von Verbergen und Offenbaren, von Innen- und Außenwelt. Meine Neugier auf das Ungewisse, vielleicht Verbotene wird geweckt.

Was muß ein Vorhang haben, um von Ihnen fotografiert zu werden? Käme „der mit der Goldkante“ auch in Frage?
Ich fotografiere keine Fenster- oder Bühnenvorhänge im üblichen Sinne, sondern Abdeckungen, die eine Art Vorhangfunktion haben. Das Material spielt dabei keine Rolle, auch Planen in Abrißhäusern zählen dazu. Wichtig ist mir, dass die Vorhänge etwas über Rituale des Alltags erzählen. Beispielsweise sehe ich auf der Straße in einem sizilianischen Dorf ein kleines ovales Fenster mit einem zugezogenen Vorhang. Das macht mich sofort neugierig dahinterzuschauen. Dieser kleine Vorhang verdeckt ein Madonnenbild und wird nur zu bestimmten Jahreszeiten geöffnet. Die Vorhänge, die ich fotografiere, sind die Requisiten eines Rituals, sie begrenzen eine imaginäre Bühne. Dabei ist unwichtig, ob nun meine Vorstellung über das jeweilige Ritual richtig oder falsch ist.

Aber auf Ihren Fotos ist nichts von dem Umfeld, dem Ritual zu sehen.
Das Ausgangsmaterial, die Ursprungsfotos, die ich zu diesem Thema seit langem mache, sind reine Dokumentarfotografien: Sie zeigen die Straße in dem sizilianischen Dorf, sie zeigen den Innenraum des hinduistischen Tempels, an dem ein verschlissenes rotes Tuch hängt. Doch in der Endfassung sind nur noch extreme Ausschnitte, extreme Herausvergrößerungen der Vorhänge zu sehen.

Weg von der Wirklichkeit?
Ich entferne mich von der Wirklichkeit und von den Fotografien der Wirklichkeit. Die ja ohnehin nie objektiv sind. Es geht mir überhaupt nicht um Naturalismus. Was mich fasziniert, ist die Entleerung des Bildes, die Loslösung vom Gegenständlichen, ohne Raumbezug, flächig. Aber ich bin sicher, dass man darin das Gegenständliche noch erahnen kann, das heißt, dass die Geschichte, die Dramatik, das Geheimnis nicht verlorengeht.
Die beiden Arbeiten „Venedig/Fischmarkt“ und „Malaysian Airline“ sind ein gutes Beispiel dafür: Händler auf dem Fischmarkt in Venedig haben rote Plastikplanen leger über die Gestänge ihrer Stände geworfen und dort irgendwie verknotet, um die Sonne abzuschirmen. Das Weiche, fast Poetische, Improvisierte bleibt auch in der Herausvergrößerung erhalten. Dagegen vermittelt das grüne Bild eher eine geometrische Strenge. Es ist im Flugzeug der Malaysian Airlines nach Kualalumpur entstanden. Der fotografierte Vorhang ist die harte und korrekte Absperrung zwischen Businessclass und Economie. Das Antiseptische schwingt auch noch in der extremen Vergrößerung mit.

In Ihrer Videoarbeit „Joss“ nimmt die Vorhangthematik drastischere Züge an. Darin kämpft ein Nachtfalter, der zwischen einen Papiervorhang und dem Fenster geraten ist, ums nackte Überleben. Der Vorhang als Symbol für Leben und Tod?
Der chinesische Papiervorhang, der in dem Video zu sehen ist, ist aus handgeschöpftem Papier und wird bei Totenfeiern verbrannt. Also auch ein Ritual. Sicherlich ist für mich das Spannende an der Vorhangthematik, dass er auch ein Symbol für die Schwelle vom Diesseits zum Jenseits, für den Übergang vom Leben zum Tod, oder auch vom Bewußten zum Unbewußten sein kann.

Haben Sie selbst zuhause Vorhänge? Und wie sehen sie aus?
(lachen) Äh, nein, ich habe keine. Nein, nicht einen einzigen! Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.