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Abwesenheiten

2001

Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin Hohenschönhausen

zu den Fotografien von Maria Vedder im Buch „Die Erfindung des Traumas – verflochtene Geschichten“ von David Becker, Edition Freitag Berlin 2006

„Trauma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet Wunde. Die Psychoanalyse hat diesen Ausdruck übernommen und bezeichnet damit eine Verletzung des psychischen Apparats, hervorgerufen durch ein schockhaftes Ereignis, das vom Subjekt nicht mehr adäquat verarbeitet werden kann und so wie ein Fremdkörper im Psychischen verbleibt.

David Becker hat mit seinem Buch Die Erfindung des Traumas – verflochtene Geschichten eine Studie vorgelegt, die die psychischen Folgen von Krieg, Verfolgung und Unterdrückung an Fallbeispielen von Opfern untersucht und so die Entstehung von Traumata im Spannungsfeld von individualpsychologischen Erfahrungen und sozialpolitischen Faktoren beleuchtet. Die Berliner Künstlerin Maria Vedder hat dieses Buch mit einer Serie von Fotografien durchsetzt. Dabei handelt es sich nicht um Illustrationen des Textes; auch die Bezeichnung „Kommentar“ trifft die Sache kaum. Viel eher lassen sich diese Fotos als visuelle Öffnungen des Textes charakterisieren.

Am deutlichsten ist die Beziehung zur Thematik des Buches in der Gruppe von Fotografien, die Verhörzimmer im ehemaligen Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin zeigen. Die muffig-kleinbürgerliche Ordnung dieser Räume mit kunstholzfurnierten Bürotischen und gemusterten Vorhängen steht in einem Spannungsverhältnis zu der von diesen Orten ausgehenden und in ihnen ausgeübten Macht und Gewalt. Auch ohne Kenntnis des historischen Rahmens lösen die abgelichteten Örtlichkeiten ein Gefühl der Beklemmung aus und wecken Assoziationen zu traumatischen Erfahrungen wie Verhörsituationen und Bespitzelung.

In den anderen Fotografien wird die Verbindung zur Thematik des Buches auf einer eher metaphorischen Ebene hergestellt. Es sind Bilder der Leere, einer stillgestellten Zeit, menschenleer. Es gibt kein Leid, keine Katastrophe, keine Opfer, keine Täter, keinerlei Aktivität. Stattdessen leere Räume, Mauern, Hauswände und, immer wieder: Stühle, in Paaren, in Gruppen unter Bäumen, in ausgeräumten Fabriketagen und in Amtszimmern. All diese Bilder tragen Spuren einer Abwesenheit. Der Dielenboden mit der runden, mit Backsteinen angefüllten Auslassung, ein achtlos abgestellter Stuhl oder der sich abzeichnende Umriss eines Dachgiebels an der Brandmauer eines Hauses künden von etwas, das dort einmal gewesen ist oder stattgefunden hat. Aus dieser Perspektive haben die Fotografien auch etwas von Bühnenräumen. Sie wirken wie theatralische Settings, denen die Handlung entzogen wurde. Kulissen für ein Stück, das einzig im Kopf des Betrachters zur Aufführung gelangt. So sind es dann auch vor allem die ins Bild gesetzten Zeichen einer Abwesenheit, die die Aufmerksamkeit fesseln und damit die Aufführung in Gang setzen.

Roland Barthes hat diese Aufmerksamkeitsattraktoren in seinem Buch über Fotografie Die helle Kammer als das „punctum“ der Fotografie bezeichnet: „Durch das Merkmal von etwas ist die Photographie nicht mehr irgendeine. Dieses Etwas hat „geklingelt“, hat eine kleine Erschütterung in mir ausgelöst, ein satori, eine zeitweilige Leere…“ Es ist dieser Verweis auf etwas, das nicht „da“ ist, von dem das Bild jedoch im Modus seiner Abwesenheit erzählt, mit dem die Fotografien in eine assoziative Beziehung zum Trauma treten. Wie das Trauma den verschobenen Ort einer Verwundung markiert, die durch ein Erlebnis der Vergangenheit hervorgerufen wurde, tragen auch die Fotos Spuren einer vorgängigen Aktivität, die im Bild eingefroren wurde. Barthes spricht in diesem Kontext von der „lebendigen Unbeweglichkeit“ der Fotografie. Im Changieren zwischen Stillstand und Bewegung, zwischen Leere und Zeit schaffen Maria Vedders „Inszenierungen des Alltags“ einen Möglichkeitsraum, in dem sowohl die fotografischen Darstellungen als auch der Kontext ihrer Rezeption in Bewegung geraten.

von Anja Osswald