Joss
2001
1-Kanal-Videoinstallation
Loop: 13:54 Min.
ohne Ton
„Joss heissen die Papiere, die in China bei Beerdigungen verbrannt werden. Als Glückspapiere symbolisieren sie die irdischen Güter, an denen es, aufgelöst in heisser Luft, auch im Jenseits nicht mangeln soll. Der Schmetterling wiederum ist in der Antike ein Symbol für die durch den physischen Tod nicht zu zerstörende Seele. Mit seiner Metamorphose vom Ei über die Raupe und die in der Todessstarre verhafteten Puppe zum strahlenden Flügelobjekt versinnbildlicht der Schmetterling – dessen Name auf griechisch übrigens „psyché“ lautet – den unabschließbaren Kreislauf des Lebens. Werden und Vergehen.
Maria Vedders Loop zeigt einen Schmetterling, der sich hinter ein Joss-Papier verirrt hat. Der Schmetterling schlägt mit den Flügeln und versucht zu entkommen. Schafft er es, sich zu befreien? Schauen wir bei seinem Todeskampf zu? In der Kombination der beiden Symbol-Zeichen werden die darin aufgerufenen mitschwingenden polaren Bedeutungsfelder wechselweise aufeinander bezogen und geraten in Bewegung. Es geht um Leben und Tod – und um alles, was sich dazwischen abspielt und im Flügelschlag des Schmetterlings eingefangen ist. Dass das Ganze trotzdem nicht zu einer zentnerschweren metaphysischen Parabel aufquillt, liegt an der bewusst lakonischen Nicht-Inszenierung und, nicht zuletzt, an der buchstäblichen Leichtigkeit der Motive. Das durchscheinende Joss-Papier und der hauchdünne Schmetterlingsflügel taugen nicht als moralische Ausrufezeichen. Darin besteht auch der Unterschied zum christlichen Vanitas-Topos, den Vedders Inszenierung zwar streift, aber letztlich umdeutet. Denn im Unterschied zur christlichen Ikonographie, die mit brennenden Kerzen und Totenschädeln auf die Endlichkeit alles irdischen Seins verweist, repräsentieren Schmetterling und Joss-Papier die Metamorphose, den beständigen Wandel als Konstante des Seins. Es gibt keinen Anfang und kein Ende: Welches Medium wäre zur Repräsentation einer solchen symbolischen Zeit besser geeignet als Video, besonders in seiner geloopten Form?“
Anja Osswald
