https://vimeo.com/57841678" data-height="https://vimeo.com/57841678" > https://vimeo.com/57841678
Landesmuseum Berlinische Galerie: Neue Heimat Berlin Contemporary: Schwelle, (c) Ralf Herzig, 2007

Schwelle

2006

1-Kanal Videoinstallation und Musikfilm
8:12 Min.
Musik: Brian Eno und J. Peter Schwalm (Opal Music London (PRS) und Editions Outshine/BMG-UFA © Opal Ltd. 1999)
Tonschnitt: Christian Obermaier
Kamera und Schnitt: Maria Vedder

Das Video gehört zum Zyklus „Inszenierungen des Alltags“. Fast kann man von einem Tanzvideo sprechen, wirken die Bewegungen der Protagonisten doch oftmals wie choreographiert. Sie sind jedoch der Zufälligkeit der Wirklichkeit entnommen. Der Ort des Geschehens ist irgendwo oder nirgendwo. Er ist ein Übergang, so wie seine Zeit ein Dazwischen. Zwischen hier und jetzt, zwischen Diesseits und Jenseits. Eine ungeschützte undefinierte Phase zwischen zwei Zuständen. Eine „Passage sans rites“.

„SCHWELLE bezeichnet den schmalen Grat zwischen zwei Räumen; Schwellen übersteigt man, um einen anderen Ort zu betreten. Sie sind Chiffren für den Übergang. In dem Video sieht man, aus der Froschperspektive durch Milchglas hindurch gefilmt, sich bewegende Füße vorwärts eilender Menschen, ohne deren Körper wahrnehmen zu können und ohne ihr Ziel zu erfahren. Reisende mit Gepäck bewegen sich wie im Traum. Die elektronische Musik von Brian Eno und J. Peter Schwalm verstärkt den Eindruck des Unwirklichen. Die Bewegung an sich ist das Sujet, das Transitorische selbst wird zum Bild, das alles Diesseitige hinter sich lässt und auch eine Seelenwanderung beschreiben könnte. Es geht hier weniger um reale als vielmehr um mentale Bild- und Klangräume.“
Ursula Prinz, Ausstellung „Neue Heimat Berlin Contemporary“, Berlinische Galerie, Berlin 2007

„Der von Brian Eno für dieses Video produzierte Soundtrack umgibt das visuell Dargestellte mit einem subtilen Netz elektronischer Klänge. Feines Zirpen ertönt, das sich anhört wie Störgeräusche eines Radios, sich aber auch zu dem bedrohlichen Bohren und monotonen Rhythmus einer Maschine steigern kann. Obwohl die Klänge zurückhaltend leise sind, entfalten sie mit der Zeit eine durchdringende Wirkung und fräsen sich ins Gehör. Oder handelt es sich bei diesem für kurze Momente ins Melodische kippenden Sirren vielleicht eher um Empfangssignale fremder Wesen aus dem All? Und würden dazu nicht die seltsam körperlosen Fußabdrücke auf den Milchglasscheiben passen?
Die Kombination der Darstellungselemente hält mögliche Antworten in der Schwebe. Ebenso in der Schwebe bleibt die gefilmte Örtlichkeit, die zwischen banalem Alltagsbetrieb in einem Bahnhof oder Flughafen und einem Besuch „from outer space“ oszilliert und den Betrachter an einen in doppeltem Wortsinn transitorischen Ort entführt. Hier gibt es kein Ankommen, nur Unterwegs-Sein, Durchreise zwischen Hier und Dort.
Dieses Irgendwo-Nirgendwo ist für den Soziologen Marc Augé charakteristisch für „Nicht-Orte“: „So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt, einen Nicht-Ort.“ (Marc Augé; Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit, Frankfurt/M. 1994, S.92). Bahnhöfe und Flughäfen sind solche Orte, die als Relais, als Durchgangsstation funktionieren. Man tritt in sie ein, um woanders anzukommen. Es ist viel Offenheit in diesen Räumen ohne Erdung. Im Unterschied zur Heimat etwa als dem Ort, an dem man sich physisch oder mental zuhause fühlt, sind Bahnhöfe oder Flughäfen Orte, in denen Räume und Zeiten ihre Festigkeit verlieren. Wohl deswegen eignen sie sich so gut als Projektionsflächen von Wünschen und Sehnsüchten.
Maria Vedders Video zeigt einen solchen „Nicht-Ort“ als paradoxe Schnittstelle zwischen physischem und geistigem Raum. Die hin und hereilenden Passanten mit und ohne Gepäck werden zu Akteuren in einer Choreographie des Unterwegs-Seins, die als Signum des post-postmodernen Menschen schlechthin gelten kann. Dass die Künstlerin dabei auf jegliche technischen Raffinessen und Kniffe aus der digitalen Trickkiste verzichtet, trägt zur Intensität der Arbeit ebenso bei wie die gewählte Kameraperspektive. Der dargestellte Raum ist mit den Gesetzen von Statik und Perspektive kaum zu erfassen. Das Ergebnis ist ein Verlust an Bodenhaftung.
Im Unwägbarwerden einer klaren räumlichen Verortung hat Maria Vedder eine Videoarbeit konzipiert, die sich in mögliche virtuelle, das heisst mentale Bild- und Klang-Räume ausdehnt, wobei immer wieder Schwellen passiert werden, über die der Betrachter je nach Gemütslage und Aufmerksamkeit gleiten – oder auch stolpern kann.“
Anja Osswald, in: Katalog „Neue Heimat Berlin Contemporary“, Berlinische Galerie, Berlin 2007